Rietberg-Westerwiehe. „Hübsch schwer“, sagt Josef Schlüter und wuchtet gemeinsam mit weiteren Helfern den alten Grenzstein in die richtige Position. Mit Muskelkraft allein ist es aufgrund des Gewichts des massiven Quaders aber nicht getan. Ein Fahr-Deutz-Schlepper muss ebenfalls ran, um das Schwergewicht zu bewegen.
Verschwitzte Hemden, leere Wasserflaschen
Ein paar verschwitzte Hemden und geleerte Wasserflaschen später ist „Nr. 39“ zurück, wo er hingehört. Fast jedenfalls. Denn der exakte ursprüngliche Standort des Grenzsteins mit der laufenden Nummer 39 lässt sich zwar noch nachweisen, steht aber nicht zur Verfügung. Dafür ist in den vergangenen Jahrzehnten im Grenzbereich zwischen Steinhorst und Westerwiehe einfach zu viel passiert. Neue Feldwege wurden angelegt und das Steinhorster Becken geschaffen.
Genau dort steht der Stein, der mehr als 250 Jahre auf dem Buckel hat, nun. Wer auf dem Wanderweg rund um das Vogelschutzgebiet unterwegs ist, kommt in Höhe der Straße Tegelheide unweigerlich an ihm vorbei. Lange hatte er sein angestammtes Domizil gegen ein geschütztes Quartier auf einem Hof in der näheren Umgebung eingetauscht.
Vor der Zerstörung gerettet
Als Mitte der 1980er-Jahre mit dem Bau des Regenrückhaltebeckens begonnen wurde, musste „Nr. 39“ weichen. Franz Henrichfreise rettete ihn vor der sicheren Zerstörung und stellte ihn im Privatbereich auf. Später übernahm die Familie Rode das gute Stück.
Zurück zu den Wurzeln: Getreu diesem Motto vermachten die „Steinhüter auf Zeit“ das Zeugnis lokaler Geschichte an den Heimatverein Steinhorst und an die Gruppe Brauchtum und Heimat der Schützenbruderschaft St. Laurentius Westerwiehe. „Für uns stand sofort fest, dass wir den Stein dorthin zurückbringen wollen, wo er hingehört“, sagt Josef Schlüter von der Gruppe Brauchtum und Heimat.
Gesagt, getan. Aber ganz so einfach ist das Unterfangen nicht. Was allein schon an dem enormen Gewicht des Grenzsteins liegt. Mit einem Trecker muss der Stein an einem sonnigen Nachmittag im Mai an den Rand des Steinhorster Beckens transportiert und abgeladen werden.
Während „Nr. 39“ noch am Haken des Frontladers hängt, beginnen Josef Schlüter, der Steinhorster Heimatvereinschef Carsten Echterhoff und ihre Mitstreiter schon mit der Feinarbeit. Drücken, ziehen und zwischendurch immer wieder die Wasserwaage dranhalten: Nach quälenden Minuten ist der Quader in Position gebracht.
„Hier kann er die nächsten hundert Jahre stehen“
Das Loch für den Fuß des Quaders hatten die Heimatfreunde schon vorher ausgehoben. Finanziell unterstützt wurde die Versetzung des Grenzsteins von der Volksbank Delbrück-Rietberg.
„Hier kann er die nächsten hundert Jahre stehen“, sagt Carsten Echterhoff am Ende zufrieden. Helfer und Zuschauer der Aktion gehen später mit dem guten Gefühl nach Hause, etwas für die Ewigkeit geschaffen zu haben. Auch wenn es die alte Grenze längst nicht mehr gibt.
Die alten Herrschaften existieren längst nicht mehr
Der Grenzstein ist zurück, aber die beiden Reiche, die er einst voneinander trennte, sind längst vergangen. „Vor Beginn der französischen und preußischen Herrschaft trennte er die Grafschaft Rietberg vom Fürstentum Paderborn“, berichtet Carsten Echterhoff vom Heimatverein des Delbrücker Stadtteils Steinhorst. „Später dienten er und seine steinernen Kollegen der Gemeindemarkierung zwischen Westerwiehe und Steinhorst. Gleichzeitig wiesen sie aber auch auf die Kreisgrenze Wiedenbrück-Paderborn hin.“
Kollegen? Ja, richtig. Denn ein Grenzstein kommt bekanntlich selten allein. Im Fall der Trennlinie zwischen der Grafschaft Rietberg und dem Fürstentum Paderborn waren es 102 Monolithen, die im Jahr 1757 entlang des Grenzverlaufs aufgestellt wurden. Wohlgemerkt ohne motorbetriebene Helferlein, wie sie in heutiger Zeit Gang und Gäbe sind.
Über „Nr. 39“ ist noch mehr bekannt: „Er gehört in die Reihe der laut Urkataster von 1820 mit Nr. 20 beginnenden Grenzmarkierungen von Westerwiehe, Schöning, Lippling und Steinhorst“, weiß Schützenbruder Josef Schlüter.
Buchstabenkombinationen geben Aufschluss über Landesherren
Die Gestaltung der Vorder- und Rückseite des Grenzsteins weist auf die beiden Herrschaftsgebiete hin, die er ursprünglich voneinander trennte: Unter den jeweiligen Wappen sind noch heute die Namenskürzel der Landesherren gut zu erkennen. WAGZR steht für Wenzel Anton Graf zu Rietberg, CABZP für Clemens August Bischof zu Paderborn.
Und jetzt? Heute steht der Grenzstein „Nr. 39“ in unmittelbarer Nähe zu mehreren kommunalen Grenzen. Die Städte Rietberg, Verl und Delbrück sowie die Kreise Gütersloh und Paderborn haben dort ihre jeweiligen letzten Ausläufer. Das steinerne Zeugnis aus längst vergangenen Zeiten bleibt also auch in Zukunft ein echter Grenzgänger.

Das gilt im übertragenen Sinn auch für die beiden beteiligten Heimatgruppierungen. Sie wollen sich weiterhin auf vielfältige Weise für die Bewahrung der lokalen Geschichte einsetzen – und dabei, wenn es sein muss, bis an die Grenzen ihrer eigenen Leistungsfähigkeit gehen. „Ohne Fleiß kein Preis“, bringt es Josef Schlüter auf den Punkt. Wohlwissend, dass da noch einige Grenzsteine mehr sind, die es zu restaurieren oder auch umzusetzen gilt. Einen retteten er und seine Mitstreiter kürzlich von einem Acker. Inzwischen wird der Stein fachmännisch instandgesetzt. „Aber was tut man nicht alles für die Heimat, die man liebt?“, sagt Josef Schlüter. Und spricht damit allen an der Steinversetzung Beteiligten aus der Seele.